Weg der Mitte

Weg der Mitte, goldener Mittelweg, die goldene Mitte finden, sich irgendwo in der Mitte treffen – häufige Redewendungen im Sprachgebrauch deuten aus das Streben nach einer Mitte hin. Das ist nur sinnvoll, denn Extrempositionen eignen sich kaum je für dauerhafte, sinnvolle Lösungen.
Im spirituellen Bereich ist der “mittlere Pfad” ein Synonym für den buddhistischen, edlen achtfachen Pfad: Weder das Anhaften am Sinnenwohl, noch die Selbstqual, sondern der Weg zwischen diesen beiden Dingen führt zur Erwachung.
Auch in vielen anderen Religionen, Lebens- und Denkschulen läuft letztlich alles auf einen Weg der Mitte hinaus – und dort wo es nicht der Fall ist und entsprechende Hinweise ignoriert werden, wächst Ausgrenzung statt Toleranz, Hass statt Liebe, Zwang statt Freiheit.

Wir können aber auch einfach einen Blick in die Natur werfen. Charles Darwins “Survival of the fittest” – die am besten an ihren Lebensraum angepasste Art überlebt – ist letztlich auch immer ein Mittelweg. Jede Art die langfristig überlebt, hat von dem, was sie in ihrer jeweiligen Nische an körperlichen Merkmalen und Fähigkeiten braucht, gerade genug. Ein Löwe bildet nicht zusätzlich noch einen Wiederkäuermagen aus, ein Gnu lässt sich nicht zusätzlich noch Reißzähne wachsen …

Aber was hat der Weg der Mitte jetzt mit Bogenschießen zu tun?

Bogenschießen als Weg der Mitte

Bogenschießen ist in vielerlei Hinsicht ein Weg der Mitte. Dass wir beim Schießen auf Zielscheiben die goldene Mitte anstreben ist dabei nur das Augenscheinlichste. Aber werfen wir einen Blick auf das Material: In den allermeisten Fällen ist das optimale Material ein Mittelweg.
Nicht der schwerste und nicht der leichteste Pfeil funktioniert am besten, sondern einer, der sich im mittleren Bereich der für den jeweiligen Bogen möglichen Gewichtsklasse befindet.
Auch die Sehne ist ein Mittelweg zwischen zu dick, zu weich, zu träge und zu dünn, zu hart und zu nervös.
Nicht anders ist es beim Zuggewicht: Ein Zuggewicht zwischen dem, was der Schütze gerade noch so halten kann und dem, was viel zu leicht für ihn ist, lässt den Schützen gemeinhin das beste Ergebnis hervorbringen.

Auch bei der Bogenkonstruktion selbst, pendelt sich der favorisierte Bogentyp meist irgendwo in der Mitte zwischen dem ein, was von Gewicht und Bauform her theoretisch machbar wäre.
All dies natürlich immer unter dem Gesichtspunkt des “Lebensraumes”, indem Pfeil und Bogen funktionieren müssen. Die Nische “Präzisionsschießen auf Scheiben in sehr großer Entfernung” erfordert andere Anpassungen als “jagdliches Schießen auf Maximaldistanzen von 25 Metern.” Innerhalb der jeweiligen Nische läuft es dann aber immer wieder auf den jeweils möglichen Weg der Mitte hinaus.

Beim intuitiven Bogenschießen am 3D Parcours haben wir meistens einen Weg der Mitte zwischen 10 und 55 Meter. (wenn sich Parcoursbauer an IFAA orientieren, was sie meistens tun). Wir haben sehr steile und ganz gerade Schüsse und schießen im Mittel irgendetwas dazwischen… .

Bögen, Zubehör & mehr

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Der Weg der Mitte für den Schützen

Das Material ist eine Sache, der Schütze eine andere. Für den Bogenschützen gilt es, jene innere Mitte zu finden, aus der heraus er gut Bogenschießen kann. Wo genau diese Mitte liegt, ist individuell – aber kaum ein Schütze kann auf einem sehr hohen oder extrem niedrigen Aktivierungsniveau dauerhaft treffsicher schießen.

Das Schießen selbst ist natürlich ebenfalls ein Mittelweg zwischen zu viel und zu wenig. Die für das Bogenschießen benötigten Muskeln werden idealerweise genau im richtigen Maße angespannt. Jedes zu viel oder zu wenig Muskelspannung führt zu Problemen und Fehlern im Bewegungsablauf. Auch die Art der Bewegung selbst ist ein Mittelweg. Wird die Grenze von flott-dynamisch zu hektisch oder in die andere Richtung, von ruhig-fließend zu zögernd überschritten, findet hernach auch der Pfeil die goldene Mitte nur noch selten.

Die Aufmerksamkeit teilt sich ebenfalls zwischen dem Ziel und dem Bewegungsablauf auf, wobei sie je nach Phase des Schussablaufes vom Bewegungsablauf zum Fokus auf den Punkt wandert – aber zumindest zu einem kleinen Teil auch immer beim jeweils anderen bleibt. In jedem Fall führt ein zu starker Fokus auf einen der beiden Pole zu einer Vernachlässigung des anderen…
Jeder Bogenschütze, der schon länger dabei ist und ausreichend Erfahrung gesammelt hat, wird an dieser Stelle seinen individuellen “Weg der Mitte” nachvollziehen können. Er wird sich erinnern erkannt zu haben, hiervon zu wenig, davon zu viel getan oder gehabt zu haben. Muskelspannung, Fokus auf dieses oder jenes, Training in diesem oder jenen Bereich … .

Der Weg der Mitte als Kunst des Weglassens

Es ist klar, dass es keine Pauschalisierung in Bezug darauf geben kann, was ein Bogenschütze weglassen oder hinzutun soll, um seine goldene Mitte zu finden. Es ist auch klar, dass es nie alleine ein “nur dazutun” oder “nur weglassen” ist. Dennoch lässt sich in der Praxis sehr häufig beobachten, dass gerade das Weglassen die größere Hürde zu sein scheint. Ein paar Beispiele, was hier einem Weg der Mitte sehr häufig im Weg steht:

Die Kunst des Weglassens von Pfeil und Bogen

Soll heißen: Sehr oft verschwenden Schützen sehr viel Energie auf die Suche nach dem noch besseren Bogen, dem noch besseren Pfeil – und erkennen nicht, dass sich das Problem hinter dem Bogen befindet. Die Erkenntnis, dass sehr gute Schützen auch mit sehr schlechter Ausrüstung sehr viel besser treffen als sehr schlechte Schützen mit sehr guter Ausrüstung, kommt oft erst, nachdem sehr viele hundert oder auch tausend Euro in die Ausrüstung geflossen sind.

Die Kunst des Weglassens der Schießtechnik

Kann der Schütze schließlich verkraften, dass sein Weg der Mitte vom Material wegführt, verlagert er seinen Fokus häufig auf die Schießtechnik an sich – was ja primär auch erst einmal keine schlechte Idee ist. Unbestreitbar ist natürlich auch die Tatsache, dass jede Schießtechnik ihre Vor- und Nachteile hat, der Anatomie des Menschen mehr oder weniger entgegenkommt und das die möglichen Techniken immer weniger werden, je präziser auf je größere Entfernungen getroffen werden soll. Unbenommen ist auch die Tatsache, dass der Schütze infrage kommende Techniken erlernen und intensiv üben muss. Schließlich ist jedoch auch hier ein Punkt erreicht, an dem die Schießtechnik an sich nicht mehr verbessert werden kann und wo der Schütze durch jedes herumdoktern daran, seinen Weg der Mitte wieder verlässt. 

Die Kunst des Weglassens des Mentaltrainings

Hat der Schütze nun erkannt, dass es weder am Material, noch an der Schießtechnik liegt, kommt er schließlich zu der Einsicht, dass Erfolg oder Misserfolg nur noch an seinem mentalen Setup liegen. Passt sein mentaler Zustand, gelingt ihm der Schuss, passt er nicht, geht sein Pfeil häufig fehl.

Material-Schießtechnik-Mentaltraining

Der letzte Punkt ist der diffizilste von diesen drei Aspekten des Bogenschießens. Ohne geeignetes mentales Setup geht es irgendwann einfach nicht mehr und Mentaltraining ist ein probates Mittel um leichter in einen Optimalzustand für das Bogenschießen gleiten zu können. Während jedoch das Material und auch noch die Schießtechnik auf einer sehr rationalen und physikalischen Ebene abgehandelt werden können, hat Mentaltraining zwangsläufig immer auch mit Gefühlen und Emotionen zu tun. Sinnvolles Mentaltraining ist niemals ein “hart gegen die Welt und sich selbst werden” und auch kein “Kraftakt emotionaler Verdrängung”, sondern das Anerkennen und Begreifen der eigenen Gedanken und Gefühle so wie das Erlernen eines konstruktiven Umgangs damit.

Doch auch dies erlernt und beherrscht der Bogenschütze schließlich – und kommt irgendwann zu dem Schluss, dass es auch hiervon ein zu viel geben kann, ein Punkt, an dem jeglicher Versuch einer Verbesserung des mentalen Setups ein Verlassen der Mitte darstellt.

Probleme im Kopf?

Das Ding mit dem hässlichen Cover…

Die Kunst am Weg der Mitte zu bleiben

Wenn der Bogenschütze in seiner goldenen Mitte ist, muss er nichts mehr weglassen und auch nichts mehr hinzutun. Es ist ein heikler Zustand – wie eine Waage mit zwei Waagschalen im Gleichgewicht. In der Praxis ist dies der Zustand, indem der automatisierte Bewegungsablauf des Schützen ohne jegliche Störung abläuft und die Aufmerksamkeit und Konzentration des Schützen in genau der rechten Weise genau dort ruhen, wo sie eben ruhen müssen.

Diesem Zustand des Gleichgewichts nähern sich Bogenschützen an, indem sie Material, Schießtechnik und Mentaltraining in rechtem Maße auf die beiden Waagschalen verteilen. Das ist ein sehr feines, sehr heikles Unterfangen – jeder Bogenschütze merkt sehr früh, dass sich die Waage immer wieder in die eine oder andere Richtung neigt. Das mag ihn ärgern, nerven, frustrieren – aber letztendlich findet er Gefallen am ewigen Spiel der beiden Waagschalen. Von da an fällt ihm der Weg der Mitte immer leichter. Immer häufiger findet er die kleine, leichte Feder, die es braucht um die Waagschalen im Gleichgewicht zu halten…

Der Weg des Bogens
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Persönliches Nachwort zum Weg der Mitte

In meinen Videos und Blogbeiträgen geht es manchmal auch um Begriffe wie Meditation, Qigong und ähnliche Übungen. Oder ich schreibe eben mal einen Blogbeitrag der Bezüge zu spirituellen Themen hat und verwende Sinnbilder und Metaphern. Von manchen Personen werde ich dafür – zu Unrecht – in die esoterische Ecke gestellt. Das rührt daher, dass dieselben Begriffe in dem, was heute als Esoterik-Szene existiert, natürlich auch vorkommen. Da kann jedoch der Begriff nichts dafür.

Nehmen wir beispielsweise “Meditation*”. Es handelt sich hierbei um eine über Jahrtausende überlieferte Kulturtechnik. Auch wenn sie zentraler Teil verschiedener Religionen und damit auch mit entsprechenden Weltanschauungen verknüpft ist, existiert und funktioniert Meditation prinzipiell außerhalb von diesem Kontext. Meditation ist wissenschaftlich mittlerweile recht gut erforscht, ihre physischen Auswirkungen sind einwandfrei messbar und ihre positiven Wirkungen zeigen sich täglich in der längst etablierten Anwendung von Meditation in medizinischen und therapeutischen Bereichen. Sie als “esoterisch” abzulehnen, nur weil die durchgeknallte Eso-Tante von nebenan auch meditiert – nun ja, da sollte man noch einmal darüber meditieren … 😉

Genauso verhält es sich mit Qigong Übungen*. Sie sind im Prinzip eine um einen körperlichen (gymnastischen Aspekt) erweiterte Meditationsform. Auch wenn damit Vorstellungsbilder wie feinstoffliche Energiezentren (Chakren) und Energiebahnen einhergehen, müssen diese nicht als real existierende Dinge angesehen werden. Sie können genauso gut als reine Fantasiegebilde betrachtet werden – die Wirksamkeit einer Qigong-Übung wird damit nicht im geringsten geschmälert.

Womit wir bei den nächsten Punkten wären: Sinnbilder, Metaphern, Gleichnissen, Fabeln, etc. All diese Dinge wirken. Das wissen Psychologen, Therapeuten, Lehrer, Trainer, Politiker, Marketing- und Werbeexperten, Geschäftsführer – letztendlich alle die damit zu tun haben, anderen Menschen etwas vermitteln zu wollen.
Bogenschießen als Weg der Mitte ist also nichts anderes, als der Versuch Bilder und damit Gedanken zu erschaffen die dabei helfen, beim Bogenschießen besser zu werden.

Und nicht umsonst sagen wir:

Alle ins Gold, alle ins Blatt!

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